12. Juli 2011
Geschrieben von Hogan Lovells

EuGH stärkt Klagerechte von Umweltverbänden gegen Kraftwerksprojekte – Auswirkungen auf Energiewende befürchtet

In einem vielbeachteten Verfahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Klagerechte von Umweltverbänden gegen industrielle Anlagenbauvorhaben erheblich gestärkt. Umweltverbände können nun umfassend auf die Einhaltung des Umweltrechts klagen. Bislang ist das in Deutschland nur Einzelpersonen erlaubt, wenn sie sich in ihren eigenen Rechten verletzt sehen. Die Folgen: Komplexere Genehmigungsverfahren, teurere Projekte und weniger Planungssicherheit für Anlagenbauer.

Experten der internationalen Sozietät Hogan Lovells raten: Projektentwickler, Anlagenbauer und -betreiber sollten Genehmigungsanträge künftig generell mit Umweltverträglichkeitsuntersuchungen versehen und vorsorglich das Genehmigungsrisiko rechtlich managen. In jedem Fall sollten sie mit mehr Widerstand gegen Projekte, längeren Realisierungszeiträumen und höheren Projektkosten rechnen.

Im aktuellen Fall hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen einen Vorbescheid und die 1. Teilgenehmigung für den Bau eines 1,4 Milliarden teuren Kohlekraftwerks in Lünen geklagt. Er machte die Verletzung von Umweltrecht bei Erteilung der Genehmigung geltend, da sich in der Nähe der Anlage fünf Landschaftsschutzgebiete befanden. Zwar hielt das OVG Nordrhein-Westfalen die Klage für begründet, musste aber anerkennen, dass der BUND nach deutschem Recht nicht klagebefugt ist. Das Gericht erkannte aber den Widerspruch zum Europarecht und legte dem EuGH den Fall vor.

Der Hintergrund: Nach dem geltenden deutschen Umweltrechtsbehelfsgesetz können Umweltverbände nur auf Einhaltung solcher Vorschriften des Umweltschutzes klagen, die "Rechte Einzelner" begründen. Die in dieser Klage betroffenen Gesetze zum Natur- und Umweltschutz dienen indes dem Schutz der Allgemeinheit, aber nicht dem Schutz einzelner Personen, z.B. betroffener Nachbarn. Daher konnten Verbände bislang wegen Beeinträchtigung der Natur oder Umwelt regelmäßig nicht gegen Großvorhaben klagen. Der EuGH hat diesem deutschen Ansatz für die Einhaltung des Umweltrechts jetzt einen Riegel vorgeschoben. Denn nach Ansicht des EuGH verstößt diese Einschränkung der Klagemöglichkeit gegen EU-Recht.

"Der EuGH öffnet damit Popularklagen Tür und Tor: Künftig wird wohl jeder Umweltverband gegen Anlagenbau- und Kraftwerksprojekte in Deutschland klagen können. Die Projekte werden länger dauern und teurer werden, das Genehmigungsverfahren wird komplizierter. Dies wird insbesondere die Energieversorger und Kraftwerksbauer vor neue Herausforderungen stellen", so die beiden Rechtsanwälte Dr. Tobias Faber und Dr. Alexander Stefan Rieger von der internationalen Kanzlei Hogan Lovells in Frankfurt am Main.

Faber und Rieger rechnen nach dem Urteil mit einer neuen Klageflut gegen industrielle Großvorhaben. "Auch bestehende Kraftwerksprojekte könnten hiervon betroffen sein - im Einzelfall könne sogar der zwangsweise Rückbau in Betracht kommen." Den betroffenen Unternehmen aus der Anlagenbaubranche und Energieversorgern raten die Experten, schon im Rahmen der Projektentwicklung und rechtlichen Strukturierung von Industrievorhaben darauf zu achten, die Genehmigungsrisiken angemessen auf die Projektbeteiligten zu verteilen. Hierzu sind klare Regeln im Vertrag zu treffen, die eine etwaige Kündigung, Mehrvergütung oder einen Rücktritt im Falle einer verspäteten oder gar nicht erteilten Genehmigung vorsehen. Nur so werden Großanlagenbauprojekte auch künftig "bankable" sein.

Das Urteil betrifft nicht nur konventionelle Kraftwerke, sondern wird auch Auswirkungen auf die Erneuerbare Energie Projekte haben. "Dies kann erheblichen Einfluss auf die von der Bundesregierung geplante Energiewende in Deutschland haben", so die beiden auf Kraftwerksbau spezialisierten Anwälte.

 

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