05. Mai 2020
Geschrieben von Hogan Lovells

Drei Fragen, drei Antworten: Kooperationen mit Wettbewerbern und Strukturkrisenkartelle n in Zeiten von COVID

Das Kartellrecht gilt auch in der aktuellen COVID-19-Pandemie fort. Jüngste Stellungnahmen der Europäischen Kommission und des Bundeskartellamts deuten aber auf eine gewisse Flexibilität der Kartellbehörden bei Kooperationen zwischen Wettbewerbern im Einzelfall hin. Gleichzeitig ermahnen die Kartellbehörden weiterhin zu kartellrechtskonformem Handeln. Unser Münchner Partner Christian Ritz befasst sich mit aktuellen Kooperationsvorhaben und deren Abstimmung mit den Kartellbehörden.

1.  Erlaubt das Kartellrecht in der aktuellen COVID-19-Pandemie größere Spielräume bei Kooperationen zwischen Wettbewerbern?

Grundsätzlich gilt das Kartellrecht auch in der aktuellen COVID-19-Pandemie uneingeschränkt fort. Dies gilt insbesondere für die Zusammenarbeit von Wettbewerbern, die zunächst dem Kartellverbot unterfallen und deren Zulässigkeit im Einzelfall anhand der Horizontal-Leitlinien zu beurteilen ist.

Angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beurteilen die Kartellbehörden jedoch auch kartellrechtliche Fragestellungen im Lichte der Krise und ihrer Auswirkungen auf die Märkte.

  • Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung über einen „Befristeten Rahmen für die Prüfung kartellrechtlicher Fragen der Zusammenarbeit von Unternehmen in durch den derzeitigen Coronavirusausbruch verursachten Notsituationen“ vom 8. April 2020 eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung des Kartellrechts angedeutet.
  • In diesem Sinne hat die Kommission am 29. April 2020 ihren ersten Comfort Letter seit rund 20 Jahren veröffentlicht, mit dem sie Kooperationen im Pharmasektor zur Erhöhung der Produktionskapazitäten und zur Sicherstellung der Versorgung von Krankenhäusern mit dringend benötigten Medikamenten zur Behandlung von COVID‑19 Patienten für kartellrechtlich unbedenklich erklärte.
  • Auch das Bundeskartellamt hat sich in den letzten Wochen nach Aussage von seinem Präsidenten Andreas Mundt bereits mit über 20 Kooperationsanliegen von Unternehmen befasst und erwartet weitere entsprechende Anfragen.

2.  Können Unternehmen zum koordinierten Abbau von Überkapazitäten in sog. Strukturkrisenkartellen zusammenarbeiten?

Ein zu erwartender längerfristiger Konsumrückgang im Zuge der COVID-19-Pandemie wird zumindest in bestimmten Branchen zu Überkapazitäten führen, deren effizienter Abbau ein gemeinschaftliches Vorgehen von Unternehmen erfordert. Zwar setzt das Kartellrecht einem gemeinschaftlichen Handeln von Wettbewerbern enge Grenzen, allerdings wurde ein branchenweit koordinierter Abbau krisenbedingter Überkapazitäten im Rahmen von Strukturkrisenkartellen in früheren Krisen in engen Ausnahmefällen gebilligt.

Die Kommission befasst sich derzeit bereits mit mehreren Strukturkrisenkartellen und hat in diesem Zusammenhang kürzlich auch bereits eine erste Entscheidung im Agrarsektor erlassen. Auch das Bundeskartellamt will Strukturkrisenkartelle in Zukunft nicht ausschließen.

Unternehmen sollten die Möglichkeit eines koordinierten Kapazitätsabbaus mit Wettbewerbern bei ihrer Krisenbewältigungsstrategie nicht außer Acht lassen, insbesondere wenn die Maßnahmen temporärer Natur und für die Wiederherstellung effizienter Produktionsprozesse zwingend erforderlich sind. Derartige Überlegungen sollten jedoch stets einer engen kartellrechtlichen Begleitung unterliegen, um im Einzelfall Rechtssicherheit über eine informelle Konsultation mit den Kartellbehörden anzustreben.

3. Was sollten Unternehmen in der aktuellen Situation mit Blick auf das Kartellrecht unbedingt beachten?

Krisen haben auch in der Vergangenheit zu einem Anstieg von Kartellen und entsprechender Verfolgungsaktivitäten der Kartellbehörden geführt. Es ist davon auszugehen, dass die Kartellbehörden das Verhalten auf den Märkten aufmerksam verfolgen und mit etwas Abstand die Auswirkungen der Krise genauer beleuchten und bewerten werden.

Auch Gerichte werden bei der Aufarbeitung von Streitigkeiten in der Lieferkette, die aus der aktuellen Krise herrühren, mit kartellrechtlichen Fragen, z.B. im Zusammenhang mit Preissteigerungen, Lieferverweigerungen oder Vertragskündigungen, konfrontiert werden. Dabei ist zu beachten, dass das kartellrechtliche Missbrauchsverbot in Deutschland nicht nur für marktbeherrschende Unternehmen gilt, sondern auch Unternehmen mit einer sogenannten  relativen Marktmacht bindet. Dies gilt insbesondere dann, wenn Geschäftspartner aufgrund von Lieferstopps oder Einstellung von Dienstleistungen unmittelbar in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sein könnten.

Unternehmen sollten daher insbesondere Folgendes beachten:

  • Auch in Zeiten von COVID-19 beansprucht das Kartellrecht weiterhin Geltung. Unternehmen müssen die kartellrechtlichen Risiken bei möglichen Kooperationen mit Wettbewerbern sowie bei einseitigen Maßnahmen zur Krisenbewältigung stets im Blick behalten.
  • In jedem Fall bedarf es einer kritischen kartellrechtlichen Prüfung des Austauschs wettbewerblich sensibler Informationen und jeder Form der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern, selbst wenn dies über Verbände oder Plattformen oder zum Abbau krisenbedingter Überkapazitäten erfolgt.
  • Zur Vermeidung von kartellrechtlichen Risiken sollten Unternehmen Kooperationen mit Wettbewerbern auch in der aktuellen COVID-19-Pandemie stets eng kartellrechtlich begleiten, um im Einzelfall Rechtssicherheit über eine informelle Konsultation mit den Kartellbehörden anzustreben. Die aktuelle Praxis zeigt, dass bereits eine Vielzahl an Unternehmen von dieser Möglichkeit proaktiv Gebrauch macht.


Demet Fidanci
Marketing & Business Development/PR Assistan
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