Sehr geehrte Damen und Herren,
der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich in zwei heute verkündeten Urteilen mit den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der sogenannten Sozialklausel in §§ 574 ff. BGB im Falle einer Eigenbedarfskündigung befasst (https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019068.html?nn=10690868).
In beiden Fällen hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen. War zuletzt der Trend zu beobachten, dass die Mehrheit der Streitigkeiten um Eigenbedarfskündigungen zugunsten der Vermieter entschieden wurde, betonte der BGH insbesondere im Verfahren VIII ZR 167/17, die Vorinstanz habe ohne die erforderliche konkrete Abwägung der Vermieterseite den Vorrang eingeräumt. Insgesamt mahnten die Karlsruher Richter in Fällen von Eigenbedarfskündigungen eine sorgfältigere Sachverhaltsaufklärung an.
In beiden Fällen hatten die Vorinstanzen den Eigenbedarf des jeweiligen Vermieters gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB bejaht und die dementsprechende Kündigung für wirksam erachtet. Im ersten Fall (Az. VIII ZR 180/18) sei die Situation der seit 45 Jahren in der Wohnung wohnenden und demenzkranken über 80-jährigen Seniorin jedoch als Härtefall einzustufen, welcher eine Kündigung verhindere, sodass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde. Im zweiten Fall (Az. VIII ZR 167/17) wehrten sich zwei Mieter einer Doppelhaushälfte aufgrund verschiedener Krankheiten gegen die Eigenbedarfskündigung ihres Vermieters.
Was die Entscheidungen konkret für Eigentümer einer Wohnimmobilie oder solche, die es werden wollen, bedeutet, erläutern unsere Experten für Immobilienrecht Lara Anita Luxenhofer, Senior Associate, und Lukas Claasen, Projects Associate, bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells in Hamburg und München:
"Eigenbedarfskündigungen werden in der Zukunft noch an Bedeutung zunehmen: Aufgrund der demografischen Entwicklung verbunden mit der Landflucht und einer damit einhergehenden Wohnungsknappheit in den Städten ist davon auszugehen, dass Eigentümer vermehrt von dem Instrument der Eigenbedarfskündigung Gebrauch machen werden und betroffene Mieter wiederum diesem alles entgegenzusetzen versuchen werden. Es gilt daher bereits vor Anschaffung einer Eigentumswohnung – mit dem Ziel einer späteren Eigennutzung – sorgfältig zu untersuchen, ob im Fall einer späteren Eigenbedarfskündigung der Mieter erfolgreich einen Härtefall geltend machen kann. Rechtliche Bedeutung erlangen hiermit verbundene Streitigkeiten aus dem Grund, dass es im Einzelfall um verfassungsrechtlich verbürgte Grundrechte der jeweiligen Parteien geht, die miteinander konkurrieren. Damit ist allen Streitigkeiten um Eigenbedarfskündigungen gemein, dass sie stets mit einer für einen der Beteiligten rechtlich bedeutsamen Freiheitsbeschränkung enden, was die Gerichte zu einer umfassenden Einzelfallabwägung zwischen dem Wiedererlangungsinteresse des Vermieters und dem Bestandsinteresse des Mieters verpflichtet. Greift der Mieter den angemeldeten Eigenbedarf an, hat er allerdings nachzuweisen, dass ein sogenannter Härtefall vorliegt und sein Interesse das des Eigentümers überwiegt. Durch die heutigen Urteile hat der BGH insbesondere die Sozialbindung des (Wohn-)Eigentums bekräftigt. So müssen Eigentümer, die ihre Wohnungen vermieten und damit einer sozialen Nutzung zuführen, damit rechnen, dass Eigenbedarfskündigungen nicht per se möglich sind und ihre Eigentumsrechte trotz vorliegenden Eigenbedarfs entsprechend beschränkt werden können. Eine Prüfung des Wohnungseigentümers im Vorfeld, ob eine Eigenbedarfskündigung wirksam ausgesprochen werden kann, ist somit zwingend geboten."
Lara Anita Luxenhofer, Hamburg
"Angesichts der Tatsache, dass die Beschaffung bezahlbaren Ersatzwohnraums aufgrund der steigenden Wohnungsnot für gekündigte Mieter gerade in deutschen Innenstädten regelmäßig mit erheblichen Mehraufwendungen verbunden ist, dürfte die Bereitschaft der Mieter, einer Eigenbedarfskündigung durch einen Widerspruch entgegenzutreten, in Zukunft noch erheblich steigen. Mögliche Härtegründe eines Mieters werden hierbei auch in Zukunft neben dem fehlenden Ersatzraum (§ 574 Abs. 2 BGB) vor allem auch Krankheit, Behinderung, hohes Alter, Schwangerschaft sowie berufliche und schulische Gründe sein. Wohnungseigentümer werden aufgrund der heutigen Entscheidungen des BGH in Zukunft noch genauer als bislang prüfen müssen, ob in ihrem Fall eine Eigenbedarfskündigung möglich ist oder womöglich ein Härtefall vorliegt. Diese Beurteilung sollten Käufer von Wohnimmobilien nach Möglichkeit auch bereits vor ihrem Investment im Auge haben, da eine erfolgreiche Kündigung wegen Eigenbedarfs auch nach den aktuellen Entscheidungen stets nur unter einschränkenden Voraussetzungen möglich ist und das Vorliegen eines etwaigen Härtefalls den Fortbestand eines jeden Wohnmietverhältnisses bewirken kann. In die erforderliche Härtefallprüfung sowie die Beurteilung der geltend gemachten Beeinträchtigungen des Mieters kann ein mit der Sache befasstes Gericht zum Beispiel auch die Frage einstellen, ob der Eigenbedarf bereits bei Erwerb der Wohnung absehbar war und ob der Erwerber daher bereits mit dem Einwand von Härtegründen hätte rechnen müssen. In diesem Bereich verbieten sich in jedem Fall schematische Lösungen. Es muss stets eine gründliche Prüfung des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere der etwaigen Härtegründe des Mieters erfolgen. Für diese Prüfung hat der BGH heute entscheidende Anhaltspunkte geliefert."
Lukas Claasen, LL.M., München
Demet Fidanci
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