Bereits seit 2009 rangen Bibliotheken und Verleger um die Auslegung des § 52b UrhG, der das elektronische Angebot sogenannter „Leseplätze“ in Bibliotheken regelt. Bis hin zum EuGH trugen die Parteien ihren Rechtsstreit aus. Die Luxemburger Richter gaben schließlich im September 2014 die Richtung vor. Nunmehr entschied der Bundesgerichtshof (BGH) vollumfänglich zugunsten der TU Darmstadt. Diese darf nach der gestrigen Entscheidung ihre Bestandswerke digitalisieren und diese in den eigenen Räumlichkeiten an elektronischen Leseplätze anbieten, an denen Professoren wie Studenten die Digitalisate nicht nur lesen, sondern auch ausdrucken und auf einem USB-Stick speichern und mitnehmen können.
Hintergrund des von der TU Darmstadt und dem Eugen Ulmer stellvertretend geführten Musterprozesses ist eine Regelung der EU-Richtlinie 29/2001 (sog. „InfoSoc-Richtlinie“). Art. 5 Abs. 3 lit. n) dieser Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, unter anderem Bibliotheken gewisse Sonderrechte bei der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke einzuräumen. Wissenschaftlern und Studierenden, aber auch Privatpersonen soll über privilegierte Einrichtungen der Zugang zu Informationen in digitaler Form gewährt werden. Dieses Ziel setzte der deutsche Gesetzgeber in der – allenthalben als wenig gelungen wahrgenommenen – Regelung des § 52b UrhG um.
Ziel der Streitparteien war es, Rechtssicherheit zu erlangen insbesondere bezüglich der Fragen, ob (1) die Bibliothek ihre Bestandswerke selbst digitalisieren darf, (2) inwieweit eine solche Befugnis davon abhängt, ob der Verlag ein angemessenes Lizenzangebot für eine digitale Version des jeweiligen Buchs unterbreitet hat. Ferner stand zur Entscheidung, ob (3) der Leseplatz derart ausgestaltet werden darf, dass der Nutzer das Werk ausdrucken oder auf einem mitgebrachten Speichermedium speichern darf. Mit seinem gestrigen Urteil hat der I. Zivilsenat in sämtlichen Punkten zugunsten der TU Darmstadt entschieden. Damit schafft der BGH nach Jahren der Ungewissheit und einer Reihe von instanzgerichtlichen Entscheidungen, die in Ergebnis und Begründung deutlich untereinander variierten, endlich die nötige Rechtssicherheit. Die Bibliotheken erhalten so die nötige Orientierungshilfe, wie sie von der Schrankenbestimmung des § 52b UrhG Gebrauch machen können, ohne Risiko zu laufen, von Verlagsseite verklagt zu werden. Aber auch die Verlage profitieren mittelbar davon, dass § 52b UrhG nunmehr klare Konturen angenommen hat. Sie können ihr Angebot entsprechend ausrichten.
Der nächste Schritt muss nunmehr die rasche Verständigung über eine angemessene Vergütung für die Rechteinhaber im Rahmen der Verhandlungen über den Gesamtvertrag zu § 52b UrhG sein. Auch für den Gesetzgeber und dessen Bestrebung, eine tragfähige Lösung für eine allgemeine Wissenschaftsschranke anzubieten, dürfte die Entscheidung des BGH ein deutlicher Fingerzeig sein. Für eine solche Schranke gilt in noch verstärktem Maße, dass sie für die Beteiligten praktisch handhabbar sein und die nötige Rechtssicherheit bieten muss.
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